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Gruppenzwang — Ist er wirklich so stark?

Gruppenzwang — Ist er wirklich so stark?

Junge Leute fragen sich:

Gruppenzwang — Ist er wirklich so stark?

„Ich hab nicht das Gefühl, dass ich unter Gruppenzwang stehe“ (Pamela, 12 Jahre).

„Gruppenzwang beeinflusst mich nicht mehr so wie früher, glaub ich. Den meisten Druck mach ich mir selbst“ (Robbie, 20 Jahre).

HAST du auch schon so gedacht? Du kennst wahrscheinlich den Bibelvers: „Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten“ (1. Korinther 15:33). Aber womöglich fragst du dich: Wird um den Gruppenzwang nicht zu viel Wirbel gemacht? Ist er vielleicht gar nicht so stark, wie meine Eltern und andere Erwachsene behaupten?

Falls du dich von Zeit zu Zeit mit solchen Zweifeln herumschlägst, dann bist du nicht allein. Überleg bitte einmal: Könnte am Gruppenzwang nicht doch mehr dran sein, als du glaubst? Viele Jugendliche hätten nie gedacht, wie stark Gruppenzwang sein kann. Angie zum Beispiel gibt zu, dass sie eventuell mehr dafür tun würde, sich anderen anzupassen, als ihr lieb ist. Sie sagt: „In der heutigen Gesellschaft steht man manchmal so unter Zwängen, dass man den Gruppenzwang gar nicht bemerkt. Man fängt an zu glauben, dass der Druck aus einem selbst kommt.“

Robbie, der eingangs zitiert wurde, findet ebenfalls, er mache sich den meisten Druck selbst. Allerdings gibt er auch zu, dass das Leben in der Nähe einer Großstadt ganz schön hart ist. Aus welchem Grund? Wegen des Anpassungsdrucks, der von dem materialistischen Umfeld ausgeht. Robbie erklärt: „Wohlstand wird hier dermaßen groß geschrieben.“ Man sollte also Gruppenzwang keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen. Aber warum glauben eigentlich so viele junge Menschen, der Gruppenzwang beeinflusse sie nicht?

Nicht zu unterschätzen

Gruppenzwang kann trügerisch sein — ja vielleicht bemerken wir ihn nicht einmal. Dazu eine Veranschaulichung: Auf Meereshöhe übt die immense Luftschicht über uns einen ständigen Druck von einem Kilogramm pro Quadratzentimeter auf unseren Körper aus. * Wenn man tagtäglich diesem Druck ausgesetzt ist, nimmt man ihn fast gar nicht wahr. Warum? Weil man daran gewöhnt ist.

Zugegeben, Luftdruck ist nicht unbedingt schädlich. Üben jedoch Menschen unterschwellig Druck auf uns aus, könnten sie allmählich Veränderungen bei uns bewirken. Der Apostel Paulus kannte die Macht des Gruppenzwangs. Er warnte die Christen in Rom: „Lasst euch nicht von eurer Umwelt in ihre Form pressen“ (Römer 12:2, The New Testament in Modern English). Wie könnte so etwas passieren?

Wie Gruppenzwang wirkt

Genießt du es, anerkannt und akzeptiert zu werden? Bei den meisten von uns ist das sicher der Fall. Doch unser natürliches Bedürfnis nach Anerkennung kann ein zweischneidiges Schwert sein. Wie weit würden wir gehen, um die Anerkennung zu bekommen, die wir uns so sehr wünschen? Vielleicht haben wir uns persönlich da ganz gut im Griff, aber was ist mit all den anderen um uns herum? Bemühen sie sich überhaupt, dem Gruppenzwang zu widerstehen, oder lassen sie sich von ihm formen?

Heute sind beispielsweise eine Menge Leute der Meinung, die Sittenmaßstäbe der Bibel seien für unsere moderne Welt zu altmodisch und wirklichkeitsfremd. Viele denken, es sei gar nicht so wichtig, Gott so anzubeten, wie er es gemäß der Bibel von uns verlangt (Johannes 4:24). Woher kommen solche Ansichten? Sie sind wahrscheinlich zum Teil auf Gruppenzwang zurückzuführen. Paulus spricht in Epheser 2:2 von einem bestimmten „Geist“, einer vorherrschenden Einstellung in dem gegenwärtigen System der Dinge. Durch diesen Geist werden Menschen unter Druck gesetzt, mit der Denkweise einer Welt konform zu gehen, die Jehova nicht kennt. Wie könnten wir davon beeinflusst werden?

Wir haben Tag für Tag in der Schule, am Arbeitsplatz und bei der Erledigung unserer familiären Verpflichtungen zwangsläufig mit Menschen zu tun, die unsere christlichen Wertvorstellungen nicht uneingeschränkt teilen. In der Schule zum Beispiel gibt es womöglich viele, denen Beliebtheit so ziemlich über alles geht, die eine lockere Geschlechtsmoral haben, zu viel Alkohol konsumieren oder Drogen nehmen. Was geschieht, wenn wir mit solchen Personen enge Freundschaft schließen und ihren Lebensstil normal oder sogar gut finden? Wahrscheinlich übernehmen wir ihre Denkweise — vielleicht erst nur ein wenig, dann immer mehr. Der „Geist“ oder die „Luft“ der Welt übt Druck auf uns aus und presst uns sozusagen in die Form der Welt.

Interessanterweise werden diese biblischen Grundsätze durch Experimente der modernen Sozialwissenschaft gestützt. Dazu gehört zum Beispiel das bemerkenswerte Experiment von Dr. Asch. Eine Versuchsperson gesellt sich zu einer Gruppe anderer Personen. Asch zeigt ihnen eine große Karte mit einer vertikalen Linie, anschließend eine weitere Karte mit drei vertikalen Linien von deutlich unterschiedlicher Größe. Die Betrachter sollen nun entscheiden, welche der drei Linien wohl am ehesten mit der anfangs gezeigten Linie übereinstimmt. Die Antwort ist ganz leicht. Bei den ersten beiden Versuchen stimmen alle Antworten überein. Ab dem dritten ändert sich allerdings etwas.

Immer noch ist es leicht zu erkennen, welche Linien gleich sind. Ohne Wissen der jeweiligen Testperson machen aber nun die anderen in der Gruppe gegen Bezahlung mit dem Versuchsleiter gemeinsame Sache. Sie entscheiden sich einhellig für die gleiche falsche Antwort. Mit welchem Ergebnis? Nur 25 Prozent der Testpersonen bleiben fest bei der ihrer Meinung nach richtigen Antwort. Die übrigen stimmen mindestens einmal mit dem Rest der Gruppe überein, das heißt, sie entscheiden sich wider besseres Wissen für die falsche Antwort.

Offensichtlich sind Menschen also bestrebt, sich ihrem Umfeld anzupassen, und zwar so sehr, dass die Mehrheit selbst das verwirft, was sie als wahr erkannt hat. Viele junge Leute haben die Auswirkungen eines solchen Anpassungsdrucks zu spüren bekommen. Der 16-jährige Daniel räumt ein: „Gruppenzwang kann einen verändern. Und je mehr Leute um einen herum sind, desto größer wird der Druck. Irgendwann denkt man dann vielleicht, dass die Handlungsweise der anderen richtig ist.“

Angie, die bereits zitiert wurde, nennt ein typisches Beispiel für Gruppenzwang in der Schule: „In der Unterstufe war es ganz wichtig, welche Kleidung man trug. Es musste unbedingt Markenkleidung sein. Im Grunde hatten wir aber gar keine Lust, 50 Euro für ein Shirt auszugeben — wieso sollte auch jemand zu so etwas Lust haben?“ Wie Angie sagt, kann es schwierig sein, den Druck zu erkennen, wenn er auf einen wirkt. Kann uns Gruppenzwang auch in schwerwiegenderen Dingen beeinflussen?

Warum Gruppenzwang gefährlich sein kann

Stell dir einmal vor, du würdest im Meer schwimmen. Während du mit kraftvollen Zügen schwimmst und den Wellengang ausnutzt, wirken andere Kräfte ganz still und unbemerkt. Die Wellen tragen dich auf das Ufer zu, aber gleichzeitig treibt dich eine Unterströmung seitwärts ab. Du lässt den Blick schließlich über das Ufer schweifen und stellst fest, dass du deine Familie oder deine Freunde aus den Augen verloren hast. Du hast gar nicht mitbekommen, wie weit dich die Strömung abgetrieben hat! Ähnliches geschieht, wenn die Gedanken und Gefühle bei unseren täglichen Beschäftigungen ständig beeinflusst werden. Ehe man sichs versieht, ist man weit von den Maßstäben entfernt, an denen man eigentlich immer festhalten wollte.

Nehmen wir zum Beispiel den Apostel Petrus, einen mutigen Mann. Als ihm nachts bei der Verhaftung Jesu eine feindliche Volksmenge gegenüberstand, zog er furchtlos sein Schwert (Markus 14:43-47; Johannes 18:10). Jahre später dagegen handelte er unter dem Einfluss von Gruppenzwang eindeutig parteiisch. Er mied nichtjüdische Christen, obwohl er zuvor von Christus in einer Vision angewiesen worden war, Nichtjuden nicht als unrein anzusehen (Apostelgeschichte 10:10-15, 28, 29). Es war für Petrus offensichtlich schlimmer, Verachtung zu ertragen, als sich in einen Kampf mit dem Schwert einzulassen (Galater 2:11, 12). Ja, Gruppenzwang kann wirklich gefährlich sein.

Die Macht des Gruppenzwangs auf keinen Fall unterschätzen

Aus dem Verhalten des Petrus können wir eine wichtige Lehre ziehen: Stärken zu haben bedeutet noch lange nicht, dass man in jeder Hinsicht stark ist. Auch Petrus hatte Schwachstellen wie jeder von uns. Wir müssen uns also alle unterschiedslos darüber klar werden, wo wir persönlich anfällig sind. Wir könnten uns ehrlich fragen: Wo sind meine Schwachstellen? Sehne ich mich nach einem Leben in Wohlstand? Hat Stolz in meinem Herzen Fuß gefasst? Wie weit würde ich gehen, um anerkannt, angesehen und beliebt zu sein?

Also, wir würden uns wohl kaum bewusst in Gefahr begeben, indem wir mit Leuten Kontakt pflegen, die Drogen missbrauchen oder eine lockere Geschlechtsmoral haben. Aber wie steht es mit unseren unmerklicheren Schwächen? Wenn wir bewusst enge Gemeinschaft mit Menschen pflegen, die uns da beeinflussen, wo wir eine Schwachstelle haben, dann bringen wir uns in eine Lage, in der wir durch Gruppenzwang manipuliert und womöglich dauerhaft geschädigt werden können.

Die gute Nachricht ist, dass sich nicht jeder Gruppenzwang schädlich auswirkt. Kann man Gruppenzwang steuern — ihn sich sogar zunutze machen? Wie kann man gegen negativen Gruppenzwang ankämpfen? Darauf wird in einem künftigen Artikel dieser Serie eingegangen.

[Fußnote]

^ Luftdruck kann man in einem einfachen Experiment nachweisen. Man braucht nur eine leere Plastikflasche auf einen Berg mitzunehmen, in die Flasche Luft hineinzulassen und sie dann luftdicht zu verschließen. Was passiert, wenn man den Berg wieder hinuntersteigt? Die Flasche zieht sich zusammen. Der Außendruck ist viel stärker geworden als der Druck in der Flasche, wo sich die dünnere Luft befindet.

[Bild auf Seite 12, 13]

In einem materialistischen Umfeld kann sich starker Gruppenzwang aufbauen