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14. JANUAR 2016
RUSSLAND

Russische Zollbeamte beschlagnahmen Bibeln und biblische Literatur

Russische Zollbeamte beschlagnahmen Bibeln und biblische Literatur

Im letzten Jahr haben russische Behörden die Religionsfreiheit weiter eingeschränkt, indem sie es Jehovas Zeugen verwehrten, ihre Bibeln zu importieren. Jehovas Zeugen waren sehr überrascht, als die Wyborger Zollbehörde behauptete, die Bibeln würden Hinweise auf „Extremismus“ enthalten. Der Importstopp wirkt sich nicht nur auf Jehovas Zeugen aus, sondern auch auf die russischen Bürger, die die Bibel als eine heilige Schrift und einen wesentlichen Bestandteil ihres Glaubens betrachten.

Harte Vorwürfe gegen die Bibel

Am 13. Juli 2015 stoppten russische Zollbeamte in der Grenzstadt Wyborg eine Sendung mit 2 016 russischen Ausgaben der Neuen-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift. a Die Behörden beschlagnahmten drei Exemplare der Bibel und gaben sie einem Sachverständigen, um sie auf „extremistische“ Formulierungen überprüfen zu lassen; der Rest wurde einbehalten. Zollbeamte leiteten im August ein Verwaltungsverfahren gegen das Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Finnland ein, weil die Literatur von dort aus versandt wurde.

Bereits am 5. Mai 2015 stellte die Zollbehörde eine Sendung mit religiöser Literatur sicher. Sie enthielt Bibeln in Ossetisch, die von Jehovas Zeugen hergestellt wurden. Die Beschlagnahmung hatte weitreichende Folgen für Ossetisch sprechende Christen in Russland, weil die Neue-Welt-Übersetzung derzeit die einzige vollständige Bibelübersetzung in ihrer Sprache ist.

Schon in der Vergangenheit haben russische Behörden das Extremismusgesetz fälschlich auf Publikationen von Jehovas Zeugen angewandt. Dies ist aber das erste Mal, dass sie behaupten, eine Bibelübersetzung habe etwas Extremistisches an sich. b Falls diese Bibeln von gerichtlicher Seite aus als extremistisch eingestuft werden, dürften sie nicht verbreitet werden.

Rechtswidriger Importstopp anderer Publikationen

Literatur, die nicht importiert werden durfte

Zollbeamte stoppen nicht nur rechtswidrig die Einfuhr von Bibeln, sondern seit März 2015 auch den Import religiöser Literatur von Jehovas Zeugen. c Sie gehen bei der Beschlagnahmung immer nach dem gleichen Muster vor: Erst durchsuchen sie rechtswidrig die Sendung, um Exemplare für ein „Sachverständigengutachten“ zu entnehmen. d Danach leitet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein, um die Publikationen als extremistisch erklären zu lassen. Ein komplizierter Rechtsstreit ist unausweichlich, weil fast jede Sendung ein eigenes Verfahren vor einem Verwaltungs- und Schiedsgericht verlangt.

Jehovas Zeugen haben bei der Zollbehörde versucht, eine ihrer Lieferungen freigeben zu lassen. Dafür haben sie Gerichtsbeschlüsse, Gutachten und andere Dokumente vorgelegt, aus denen hervorgeht, dass die Regierung diese Publikationen bereits als nicht extremistisch eingestuft hat. Allerdings haben die Zollbeamten die Beweise ignoriert und die Lieferung beschlagnahmt.

Neben dem Importstopp für Literatur von Jehovas Zeugen wurde der Zugriff auf Publikationen in elektronischer Form eingeschränkt. Am 21. Juli 2015 hat Russland — als einziges Land der Welt — die offizielle Website von Jehovas Zeugen (jw.org) verboten. In ganz Russland haben Internetprovider den Zugriff auf die Website blockiert. Außerdem muss jeder, der auf jw.org aufmerksam macht, rechtliche Konsequenzen fürchten.

Zufolge des Verbots haben Zeugen Jehovas keinen Zugriff mehr auf die religiösen Publikationen der Website. Das ist besonders schmerzlich für die Blinden und Gehörlosen unter ihnen. Da für Jehovas Zeugen biblische Bildung ein grundlegender Bestandteil ihres Gottesdienstes ist, behindern die Einschränkungen ihre Religionsausübung.

Jehovas Zeugen appellieren an die Vernunft

Bereits in der Vergangenheit haben russische Gerichte Versuche, andere heilige Schriften zu verbieten, verhindert oder entsprechende Entscheidungen rückgängig gemacht. Beispielsweise hat 2011 ein Gericht in Tomsk einen Antrag abgewiesen, eine Ausgabe der Bhagawadgita (heilige Schrift der Hindus) zu verbieten. Und 2013 stieß ein Berufungsgericht eine Entscheidung um, die eine Übersetzung des Korans als extremistisch eingestuft hatte.

Jehovas Zeugen vertrauen darauf, dass die Richter den absurden Antrag der Zollbehörde zurückweisen, eine Bibelübersetzung für extremistisch zu erklären. Außerdem hoffen sie darauf, dass ihre beschlagnahmten Bibeln und die religiöse Literatur freigegeben werden.

Beschlagnahmungen im zeitlichen Überblick

  1. 1. März 2015

    Zollbeamte halten eine Literatursendung auf und beschlagnahmen rechtswidrig einige Exemplare.

  2. 4. Mai 2015

    Der Zoll stoppt eine Lieferung nach Russland. Die Behörde durchsucht die Ladung später und beschlagnahmt mehrere Artikel — darunter ossetische Bibeln —, um sie auf Hinweise auf „Extremismus“ zu untersuchen.

  3. 28. Mai 2015

    Ein Gericht gibt in St. Petersburg ein Sachverständigengutachten der beschlagnahmten Güter vom 1. März in Auftrag.

  4. Juni 2015

    Zollbeamte halten zwei Sendungen am Grenzübergang in Wyborg auf.

  5. 13. Juli 2015

    Zollbeamte halten eine Sendung auf, die ausschließlich russische Bibeln enthält.

  6. 13. August 2015

    Zollbeamte in Wyborg ordnen die Beschlagnahmung der kompletten Sendung vom 13. Juli an — insgesamt 2 016 Bibeln — mit der Begründung, es würden sich darin Hinweise auf „Extremismus“ befinden. Die Behörde leitet ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gegen das Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Finnland ein.

  7. 1. September 2015

    In einer Verhandlung über die Sendung mit ossetischen Bibeln und anderer Literatur (siehe 4. Mai) lehnt der Richter die Anträge von Jehovas Zeugen ab und hindert ihre Anwälte daran, ihre Plädoyers zu halten.

  8. 30. Oktober 2015

    Das Ortsgericht in Wyborg entscheidet, dass die Durchsuchung der Lieferung vom 4. Mai rechtswidrig war.

  9. 17. November 2015

    Vor Gericht findet eine Anhörung zu der Bibelsendung vom 13. Juli statt; das Gericht vertagt die Verhandlung.

a Die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift ist eine moderne Bibelübersetzung, herausgegeben von Jehovas Zeugen und kostenfrei in über 120 Sprachen erhältlich.

b 82 verschiedene Publikationen von Jehovas Zeugen sind durch russische Gerichte für extremistisch erklärt worden (Stand: 1. Januar 2016). Jehovas Zeugen in Russland fechten diese Entscheidungen vor nationalen Gerichten und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an.

c Zollbeamte in Wyborg haben sieben Lieferungen gestoppt, die für Jehovas Zeugen in Russland bestimmt waren (Stand: Dezember 2015).

d Gemäß russischem Gesetz muss eine Durchsuchung gerichtlich angeordnet sein und in Gegenwart von Vertretern des Absenders stattfinden. In jedem der genannten Fälle haben die Zollbeamten diese Vorgehensweise nicht eingehalten.