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Dr. Sergei Igorewitsch Iwanenko, Religionswissenschaftler und Regierungsberater der Russischen Föderation

18. OKTOBER 2019
RUSSLAND

Namhafter russischer Religionswissenschaftler sagt zugunsten von Zeugen Jehovas in Saratow aus

Namhafter russischer Religionswissenschaftler sagt zugunsten von Zeugen Jehovas in Saratow aus

Sergei Igorewitsch Iwanenko, ein bekannter Religionswissenschaftler und Regierungsberater der Russischen Föderation, sagte bei der Gerichtsverhandlung im Fall von sechs Zeugen Jehovas in Saratow am 4. September 2019 unter Eid zugunsten von Zeugen Jehovas aus. Dr. Iwanenko ist der Autor zweier wissenschaftlicher Arbeiten über Jehovas Zeugen in Russland. Nachfolgend werden Auszüge aus seiner Zeugenaussage wiedergegeben, die er unter Eid vor Gericht machte.

Lebensweise und Religionsausübung von Jehovas Zeugen: „Eine Besonderheit unterscheidet Jehovas Zeugen von anderen Religionen: Sie sind nicht auf starre Regeln oder Anweisungen einer einzelnen Führungsperson angewiesen; vielmehr helfen sie ihren Mitgliedern, ihr Gewissen gemäß der Bibel zu schulen, sodass jeder Einzelne für sich selbst freiwillig Entscheidungen treffen kann, die sich auf die Bibel stützen.“

„Zeugen Jehovas bemühen sich, die Lehren der Bibel zu befolgen und nach den Grundsätzen zu leben, die Jesus Christus und seine Jünger im ersten Jahrhundert dargelegt haben.“

„Sie üben in der Gemeinschaft ihren Glauben aus, indem sie die Bibel studieren, Fragen zu biblischen Themen beantworten und Lieder singen, die sich ebenfalls auf Bibeltexte stützen; insofern ist offensichtlich, dass sie sich gemeinsam bemühen, ihr ganzes Handeln nach der Bibel auszurichten.“

„Sie glauben außerdem, dass ein Christ Teil einer Gemeinschaft sein muss. Auch hierbei analysieren sie, was im Neuen Testament über Jesus, seine Jünger, seine Nachfolger und die Frühgeschichte der ersten Christengemeinde steht. ... Jehovas Zeugen glauben, dass es notwendig ist, ihre Religion als Teil einer Gemeinde auszuüben.“

„Sie betonen, dass Nachfolger Jesu Christi an ihrer Liebe zueinander zu erkennen sein würden.“

Die Predigttätigkeit von Jehovas Zeugen: „Jehovas Zeugen sind für ihr aktives Predigen bekannt. Ich würde Jehovas Zeugen an erster Stelle nennen, wenn es um Einsatz und Eifer beim Predigen geht. Jeder Gläubige muss predigen und setzt Zeit für das Predigen ein.“

„Sie sagen üblicherweise: ‚Schauen Sie, was die Bibel dazu sagt.‘ Man kann dann die Bibel nehmen und das selbst nachprüfen. Wer damit einverstanden ist, schließt sich ihnen an. Wer damit nicht einverstanden ist, schließt sich ihnen nicht an. Es wird keinerlei Zwang ausgeübt.“

Die Extremismusvorwürfe gegen Jehovas Zeugen: „Zunächst wurden einige Veröffentlichungen von Jehovas Zeugen für extremistisch erklärt, weil darin laut Fachleuten behauptet wurde, die Religion von Jehovas Zeugen sei die einzig wahre und alle anderen seien falsch. Obwohl andere Konfessionen Ähnliches behaupten, richteten sich die Vorwürfe in diesem Fall nur gegen Jehovas Zeugen. Die Behauptung, ihre Religion sei die einzig wahre und alle anderen seien falsch, wurde als Propaganda religiöser Überlegenheit ausgelegt.“

„Aus meiner Sicht als Religionswissenschaftler weist [die Gerichtsentscheidung] einen Schwachpunkt auf. Wer es darauf anlegt, wird in jeder Konfession die Behauptung finden, diese Religion sei die einzig richtige und alle anderen seien falsch oder irregeleitet.“

„Dass man die eigene Religion für die absolute Wahrheit hält und andere Religionen als falsch oder überwiegend falsch betrachtet, trifft sicherlich auf jeden religiösen Menschen zu. Wenn es nicht so wäre, würde man ihn als Heuchler ansehen.“

„Sofern staatliche Gesetze nicht im Widerspruch zu Gottes Gesetzen stehen, bemühen sich Zeugen Jehovas stets gewissenhaft, diese zu befolgen. Nicht ohne Grund gibt es so viele Berichte über Zeugen Jehovas, die verlorene Geldbörsen zurückgegeben oder Bußgelder und Steuern gezahlt haben, selbst wenn sie das hätten umgehen können. Sie entscheiden sich ganz bewusst dafür, sie tun das nicht zum Schein, und ich würde ihnen keinen Extremismus vorwerfen.“

Jehovas Zeugen und die Bibel: „Einzigartig an Jehovas Zeugen ist, dass sie mehrere Bibelübersetzungen zum Studieren und Predigen verwenden. Sie sind sehr darauf bedacht, Menschen die Bibel in verschiedenen Sprachen zugänglich zu machen. In dieser Hinsicht rücken sie auf einzigartige Weise die Bibel in den Mittelpunkt. Ihre Bibelübersetzung wurde hier für extremistisch erklärt ... Wer hinter dieser Entscheidung steckt, dachte vielleicht, Jehovas Zeugen seien ganz und gar an ihre eigene Übersetzung gebunden und würden ihre Tätigkeit aufgeben, wenn diese Übersetzung aus dem Verkehr gezogen wird. Das war jedoch ein Irrtum. Für Jehovas Zeugen ist jede Bibelübersetzung wertvoll.“

Rechtskörperschaften zur Religionsausübung: „Die Entscheidung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation zeigt, dass ... die meisten Versammlungen von Jehovas Zeugen keine Rechtskörperschaften waren ... Daher kann man nicht sagen, jeder Zeuge Jehovas in einer bestimmten Gegend sei automatisch Mitglied einer Rechtskörperschaft.“

„Was die Rechtskörperschaften betrifft ..., habe ich mich eingehend mit ihren Satzungen beschäftigt und darin nirgendwo die Begriffe Aufseher, Älteste oder Pioniere gefunden. Die Satzungen beziehen sich üblicherweise auf die Gründungsmitglieder, eine auf etwa zehn Personen beschränkte Gruppe. Ihre Verantwortlichkeiten sind rein rechtlicher Natur und betreffen nicht die Religionsausübung von Jehovas Zeugen. ... Ihre religiöse Tätigkeit ist in jedem Land und jeder Region gleich.“

„Jehovas Zeugen haben [die Entscheidung des Obersten Gerichts, mit der nur ihre Rechtskörperschaften aufgelöst wurden,] beachtet und respektiert. Allerdings setzen sie ihre religiöse Tätigkeit fort, welche seitens der Regierung nicht verboten wurde. Als Privatpersonen üben sie weiterhin ihren Glauben aus. Aus ihrer Sicht und vom religionswissenschaftlichen Standpunkt aus wird dadurch nicht gegen die Entscheidung des Obersten Gerichts verstoßen.“

Jehovas Zeugen und Bluttransfusionen: „Gemäß der Bibel ist das Leben im Blut; deshalb sollte Blut niemals weiterverwendet werden. Im Kontext der Bibel geht es hier um den Verzehr von Blut, aber Jehovas Zeugen legen dies weitläufiger aus. Sie glauben, dass man Blut in keiner Weise zu sich nehmen sollte, weder zum Verzehr (sie essen keine Blutwurst) noch in Form einer Bluttransfusion. Kleine Blutfraktionen akzeptieren sie jedoch. Das ist die persönliche Entscheidung jedes einzelnen Gläubigen ... Sie lehnen Bluttransfusionen nicht ab, weil sie es vorziehen zu sterben, sondern sie wünschen die beste medizinische Versorgung. Aus ihrer Sicht und auch vom Standpunkt zahlreicher Mediziner aus bergen Bluttransfusionen Risiken, weil beispielsweise die Gefahr einer Übertragung von AIDS oder anderer Krankheiten besteht. Fremdblutfreie Operationen sind sicherer, und Statistiken zeigen, dass wohlhabende Leute oft eine Behandlung ohne Bluttransfusion vorziehen, da sie so besser vor Infektionen geschützt sind und Komplikationen seltener auftreten.“

Jehovas Zeugen und Spenden: „Man kann durchaus für sich entscheiden, überhaupt nichts zu spenden. Theoretisch kann jemand sein ganzes Leben lang die Zusammenkünfte von Jehovas Zeugen besuchen, ohne jemals einen einzigen Rubel oder Dollar zu spenden. Es ist die persönliche Entscheidung jedes Einzelnen, ob er etwas spenden möchte oder nicht.“

Obwohl Dr. Iwanenko als Experte bezeugte, dass Zeugen Jehovas aufrichtige, gesetzestreue Christen sind, ignorierte das Gericht seine Aussagen und verurteilte alle sechs Glaubensbrüder zu Freiheitsstrafen von unterschiedlicher Dauer.

Während unsere Brüder in Russland weiterhin ungerechtfertigt angeklagt und unrechtmäßig inhaftiert werden, beten wir fortgesetzt darum, dass Jehova unsere mutigen und treuen Mitstreiter segnet und sie die Freude verspüren lässt, seine Anerkennung zu genießen (Psalm 109:2-4, 28).