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Resistente Krankheitserreger — Warum sie zurückkehren

Resistente Krankheitserreger — Warum sie zurückkehren

Resistente Krankheitserreger — Warum sie zurückkehren

VIREN, Bakterien, Protozoen, Pilze und andere Mikroorganismen gibt es offenbar schon, seit es Leben auf der Erde gibt. Diese einfachsten aller Organismen können dank ihrer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit an Orten überleben, wo ansonsten kein Leben möglich ist. Sie sind an kochend heißen Tiefseeschloten genauso zu finden wie in den eisigen arktischen Gewässern. Und heute wehren sie sich gegen den massivsten Angriff auf ihre Existenz, dem sie je ausgesetzt waren — gegen den konzentrierten Einsatz von antimikrobiellen Wirkstoffen.

Vor hundert Jahren kannte man zwar einige Mikroben oder Mikroorganismen, die Krankheiten verursachen, doch antimikrobielle Medikamente waren damals noch völlig unbekannt. Daher konnten die Ärzte für einen Patienten, der an einer schweren Infektionskrankheit litt, oft nicht viel mehr tun, als ihm moralischen Beistand zu leisten. Das Immunsystem des Betreffenden musste allein mit der Krankheit fertig werden. Ein zu schwaches Immunsystem hatte oft verheerende Folgen. Selbst geringfügige Verletzungen endeten nur allzu häufig tödlich, wenn die Wunde mit Mikroben infiziert wurde.

Daher war die Entdeckung der ersten sicheren antimikrobiellen Medikamente — der Antibiotika * — eine medizinische Revolution. Der medizinische Einsatz von Sulfonamiden in den 1930er Jahren und von Medikamenten wie Penizillin und Streptomycin in den 1940er Jahren führte in den folgenden Jahrzehnten zu einer Welle weiterer Entwicklungen. In den 1990er Jahren enthielt das Antibiotika-Arsenal etwa 150 Wirkstoffe in 15 verschiedenen Kategorien.

Der ausgeträumte Traum vom Sieg

Mancher feierte schon in den 1950er und 1960er Jahren den Sieg über Infektionskrankheiten. Einige Mikrobiologen dachten sogar, der Alptraum dieser Krankheiten wäre bald ausgestanden. Der oberste Amtsarzt der USA erklärte 1969 vor dem amerikanischen Kongress, dass demnächst das „Thema Infektionskrankheiten weltweit erledigt sein“ dürfte. 1972 schrieben der Nobelpreisträger Macfarlane Burnet und David White: „In Zukunft wird sehr wahrscheinlich nicht mehr viel von Infektionskrankheiten zu hören sein.“ Manche glaubten sogar, diese Krankheiten könnten ein für alle Mal ausgerottet werden.

Da man den Kampf gegen Infektionskrankheiten schon gewonnen glaubte, wurden viele zu selbstsicher. Eine Krankenschwester, die wusste, welch ernste Gefahr Krankheitserreger darstellten, bevor Antibiotika eingeführt wurden, stellte fest, dass einige jüngere Krankenschwestern bei grundlegenden Hygienemaßnahmen nachlässig wurden. Wenn sie sie daran erinnerte, sich die Hände zu waschen, bekam sie zur Antwort: „Keine Sorge, wir haben jetzt doch Antibiotika.

Die Folgen der Abhängigkeit von Antibiotika und ihres intensiven Gebrauchs sind allerdings verheerend. Die Infektionskrankheiten haben überlebt. Schlimmer noch, sie schlagen mit voller Wucht zurück und sind heute weltweit die Todesursache Nummer 1! Daneben gibt es Faktoren, die zusätzlich dazu beigetragen haben, dass sich Infektionskrankheiten ausbreiten konnten: unter anderem Kriegswirren, weit verbreitete Unterernährung in Entwicklungsländern, Mangel an sauberem Wasser und unzureichende Sanitäreinrichtungen, der internationale Reiseverkehr und der weltweite Klimawechsel.

Resistente Bakterien

Die erstaunliche Widerstandsfähigkeit gewöhnlicher Bakterien hat sich als ein gravierendes Problem herausgestellt, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Rückblickend hätte man jedoch damit rechnen müssen, dass Krankheitserreger gegen Medikamente resistent werden würden. Wieso? Als Beispiel diene ein vergleichbarer Vorgang, nämlich die Einführung des Insektizids DDT in den 1940er Jahren. * Damals freuten sich die Milchbauern, dass sie nur DDT zu sprühen brauchten und die Fliegen damit praktisch verschwunden waren. Einige Fliegen überlebten jedoch und brachten Nachkommen hervor, die gegen DDT immun waren. Bald vermehrten sich diese Fliegen in riesigen Mengen.

Sogar schon vor dem Einsatz von DDT und noch bevor Penizillin 1944 auf den Markt gebracht wurde, ließen schädliche Bakterien ihre verblüffende Verteidigungsbereitschaft erkennen. Das wurde Dr. Alexander Fleming, der das Penizillin entdeckt hatte, bewusst, als er in seinem Labor mehrere Generationen von Staphylococcus aureus beobachtete. Dieser Krankenhauskeim bildete Zellwände, die für das von Fleming entwickelte Medikament immer undurchlässiger wurden.

Aufgrund dessen warnte Dr. Fleming schon vor 60 Jahren davor, dass schädliche Bakterien im Körper einer infizierten Person gegen Penizillin resistent werden könnten. Wenn die Penizillindosis nicht stark genug wäre, um genügend schädliche Bakterien zu zerstören, würden sich deren resistente Nachkommen vermehren. Am Ende würde die Krankheit, die mit Penizillin nicht geheilt werden konnte, wieder auf der Bildfläche erscheinen.

In dem Buch The Antibiotic Paradox (Das Antibiotika-Paradoxon) heißt es dazu: „Flemings Vorhersagen erfüllten sich in noch verheerenderer Weise, als selbst er vermutet hatte.“ Warum? Interessanterweise stellte sich bei einigen Bakterienstämmen heraus, dass ihre Gene — der in der Bakterien-DNS enthaltene winzige Bauplan — die Produktion von Enzymen anregten, die Penizillin wirkungslos machten. Daher blieben auch intensive Penizillinbehandlungen oft erfolglos. Was für ein Schock!

Um den Kampf gegen Infektionskrankheiten doch noch zu gewinnen, setzte man von den 1940er Jahren bis in die 1970er Jahre und teilweise noch während der 1980er und 1990er Jahre immer wieder neue Antibiotika ein. Damit gelang es, Bakterien zu besiegen, denen frühere Medikamente nicht beikommen konnten. Doch innerhalb weniger Jahre bildeten sich Stämme von Bakterien, die auch den neuen Medikamenten trotzten.

Wie sich zeigte, verfügen Bakterien über erstaunlich raffinierte Resistenzmechanismen. Sie können durch Veränderung der Zellwand das Antibiotikum aussperren oder chemische Vorgänge im Zellinneren so verändern, dass es ihnen nichts anhaben kann. Andere Bakterien pumpen das Antibiotikum so schnell wieder ab, wie es eingedrungen ist, oder sie zersetzen es einfach und machen es dadurch wirkungslos.

Mit dem zunehmenden Einsatz von Antibiotika haben sich die resistenten Bakterienstämme vervielfacht und sich weiter ausgebreitet. Eine totale Katastrophe? Nicht unbedingt, zumindest nicht in den meisten Fällen. Wenn ein Antibiotikum bei einer bestimmten Infektion nicht hilft, dann hilft in der Regel ein anderes. Die Resistenz ist zweifellos lästig, doch bis vor kurzem ließ sich das Problem normalerweise in den Griff bekommen.

Mehrfachresistenzen

Doch dann stellten die medizinischen Forscher zu ihrem Entsetzen fest, dass Bakterien ihre Gene untereinander austauschen können. Zunächst dachte man, das treffe nur auf Bakterien zu, die derselben Art angehören. Später entdeckte man jedoch exakt die gleichen Resistenzgene auch bei völlig anderen Bakterienarten. Durch diesen Tausch sind unterschiedliche Bakterienarten gegen viele verschiedene gängige Medikamente resistent geworden.

Als wäre das noch nicht schlimm genug, beobachtete man in den 1990er Jahren, dass sogar völlig isolierte Bakterien resistent werden können. Manche Bakterienarten werden selbst dann gegen mehrere natürliche und synthetische Antibiotika resistent, wenn sie nur mit einem einzigen Antibiotikum konfrontiert werden.

Düstere Aussichten

Bei der Mehrzahl der Patienten wirken die meisten Antibiotika zwar noch, doch wie wirksam werden derartige Medikamente in Zukunft sein? In dem Buch The Antibiotic Paradox wird festgestellt: „Wir können nicht länger davon ausgehen, dass sich Infektionen gleich beim ersten Versuch mit Antibiotika heilen lassen. . . . In einigen Teilen der Welt gibt es zu wenige Antibiotika, was bedeutet, dass kein einziges der verfügbaren Antibiotika hilft. . . . Heute leiden und sterben Patienten wieder an Krankheiten, von denen einige vor 50 Jahren dachten, dass sie heute längst ausgerottet sein müssten.“

Bakterien sind nicht die einzigen Krankheitserreger, die gegen Medikamente resistent geworden sind. Auch Viren, Pilze und andere winzige Parasiten erweisen sich als verblüffend anpassungsfähig. Sie warten mit Stämmen auf, die sämtliche Bemühungen um wirksame Medikamente zunichte machen könnten.

Was kann in Anbetracht dessen getan werden? Lassen sich die Resistenzen überwinden oder wenigstens einschränken? Wie können die Erfolge, die mithilfe von Antibiotika und anderen antimikrobiellen Medikamenten erzielt wurden, bewahrt werden, während die Bedrohung durch Infektionskrankheiten weiter zunimmt?

[Fußnoten]

^ Abs. 4 Medikamente, die gegen Bakterien wirksam sind, nennt man Antibiotika. Die allgemeinere Bezeichnung „antimikrobiell“ beschreibt alle Medikamente, die gegen krankheitserregende Mikroorganismen eingesetzt werden, sei es gegen Viren, Bakterien, Pilze oder winzige Parasiten.

^ Abs. 10 Insektizide sind Gifte. Das trifft auch auf Medikamente zu. Beide können sowohl nützen als auch schaden. Antibiotika sollen zwar schädliche Mikroorganismen zerstören, vernichten aber auch nützliche Bakterien.

[Kasten/Bild auf Seite 6]

Was sind antimikrobielle Medikamente?

Das Antibiotikum, das man vom Arzt verordnet bekommt, gehört zu den antimikrobiellen Medikamenten. Sie zählen zu einer Klasse von Medikamenten, die Krankheiten auf chemischem Weg bekämpfen und die daher als Chemotherapeutika bezeichnet werden. Der Ausdruck „Chemotherapie“ wird zwar oft im Zusammenhang mit einer Krebstherapie verwendet, bezog sich jedoch ursprünglich (und bezieht sich auch nach wie vor) auf die Behandlung von Infektionskrankheiten. In diesem Fall spricht man heute von einer antimikrobiellen Chemotherapie.

Mikroben oder Mikroorganismen sind so klein, dass man sie nur unter dem Mikroskop erkennt. Antimikrobielle Medikamente bekämpfen diese winzigen Krankheitserreger. Leider können diese Medikamente aber auch nützliche Mikroorganismen schädigen.

Selman Waksman, der Mitentdecker von Streptomycin, prägte 1941 den Ausdruck „antibiotisch“, um antibakterielle Substanzen zu beschreiben, die von Mikroorganismen stammen. Was macht Antibiotika und andere antimikrobielle Medikamente für die Medizin so wertvoll? Sie sind selektiv toxisch, das heißt, sie können Krankheitserreger vergiften, ohne dem Patienten ernstlich zu schaden.

In Wirklichkeit sind jedoch alle Antibiotika in einem gewissen Grad schädlich. Die Spanne zwischen therapeutischer und toxischer Dosis bezeichnet man als therapeutische Breite oder therapeutischen Index. Je größer diese Breite ist, desto sicherer ist das Medikament; je kleiner die Spanne, desto gefährlicher ist es für den Patienten. Interessanterweise hat man schon Tausende von antibiotischen Wirkstoffen entdeckt, doch die meisten eignen sich nicht für therapeutische Zwecke, weil sie für Mensch und Tier zu giftig sind.

Das erste innerlich anwendbare natürliche Antibiotikum war Penizillin. Es wurde aus einem Schimmelpilz namens Penicillium notatum gewonnen und 1941 das erste Mal intravenös verabreicht. Bald darauf, 1943, wurde aus einem Bodenbakterium namens Streptomyces griseus das Streptomycin isoliert. Später kamen zahllose weitere Antibiotika dazu, die entweder auf natürlichem Weg gewonnen oder synthetisch hergestellt wurden. Doch Bakterien haben es geschafft, gegen viele dieser Antibiotika resistent zu werden — ein medizinisches Problem, das mittlerweile weltweite Ausmaße angenommen hat.

[Bild]

Die „Penicillium“-Kolonie am Boden der Schale hemmt das Bakterienwachstum

[Bildnachweis]

Christine L. Case/Skyline College

[Kasten/Bilder auf Seite 7]

Die Welt der Mikroorganismen

Viren sind die kleinsten Mikroorganismen. Sie stecken hinter gewöhnlichen Erkrankungen wie Erkältung, Grippe und Halsschmerzen. Viren verursachen aber auch so katastrophale Krankheiten wie Kinderlähmung, das Ebolafieber und Aids.

Bakterien sind einfache Einzeller ohne Zellkern und besitzen in der Regel nur ein Chromosom. Der menschliche Körper, vor allem das Verdauungssystem, beherbergt Billionen von Bakterien. Sie unterstützen die Verdauung und sind die hauptsächlichen Lieferanten von Vitamin K, das für die Blutgerinnung wichtig ist.

Von den etwa 4 600 erfassten Bakterienarten gelten zwar nur rund 300 als pathogen (krankheitserregend), doch diese verursachen bei Pflanzen, Tieren und Menschen zahlreiche Krankheiten. Dazu zählen beim Menschen Tuberkulose, Cholera, Diphtherie, Anthrax, Zahnfäule, verschiedene Arten von Lungenentzündung und diverse sexuell übertragbare Krankheiten.

Protozoen sind wie die Bakterien Einzeller, können jedoch mehr als einen Zellkern besitzen. Zu ihnen zählen Amöben und Trypanosomen sowie der Parasit, der Malaria verursacht. Etwa ein Drittel aller Arten sind Parasiten, doch nur einige davon machen Menschen krank.

Pilze können ebenfalls Krankheiten verursachen. Diese Organismen haben einen Zellkern und bilden dicht verwobene Matten aus einzelnen Fäden. Die verbreitetsten Infektionen sind Fußpilz und Candidiasis (Candidamykose). Schwere Pilzinfektionen befallen meistens nur Menschen, deren Immunsystem schon geschwächt ist, beispielsweise durch Fehlernährung, Krebs, Drogen oder Virusinfektionen.

[Bilder]

Ebolavirus

„Staphylococcus aureus“ (Bakterium)

„Giardia lamblia“ (Protozoon)

Fadenpilze

[Bildnachweis]

CDC/C. Goldsmith

CDC/Janice Carr

Mit frdl. Gen.: Dr. Arturo Gonzáles Robles, CINVESTAV, I.P.N. México

© Bristol Biomedical Image Archive, University of Bristol

[Bild auf Seite 4]

Alexander Fleming, Entdecker des Penizillins